STUTTGART: Nach einer kontroversen Aussprache hat die Regionalversammlung heute beschlossen, die Klage gegen die Biogasanlage in Nürtingen aufrecht zu halten. Dabei fanden sich in allen Fraktionen Befürworter und Gegner der Klage. Die Mehrheit von 43 Regionalpolitikern lehnt den Standort auf einer Kuppe zwischen Nürtingen und Großbettlingen weiterhin ab. Die übrigen 35 Regionalräte hätten sich damit arrangieren können, weil für sie die Vorteile durch die Energiegewinnung aus Lebensmittelabfällen überwiegen.
Die Biogasanlage soll auf einer Fläche von rund 2,3 Hektar in einem regionalen Grünzug entstehen, in dem laut Regionalplan grundsätzlich nicht gebaut werden darf. Planungsdirektor Thomas Kiwitt erinnerte an die Vorgeschichte der Standortsuche. Ursprünglich sollte die Biogasanlage im Wald entstehen. Damit war die Region einverstanden. Der Standort schied allerdings aus, weil dort der geschützte Baumfalke zu Hause ist. Der Verband Region Stuttgart lehnte den Ersatzstandort außerhalb des Waldes, auf einer Kuppe ab. Auch eine leichte Verschiebung des Bauvorhabens von der Kuppe in Richtung Großbettlingen änderte nichts an der „erheblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes“. Das Regierungspräsidium setzte sich in einem Zielabweichungsverfahren über die Einwände und damit über die regionalplanerisch verbindlichen Vorgaben hinweg. Ende letzten Jahres klagte der Verband Region Stuttgart deshalb vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. „Maßgeblich dafür war, dass regionalplanerische Erwägungen nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurden“, so Thomas Kiwitt. Mit der Klage gegen eine Zielabweichung wird in Baden-Württemberg Neuland betreten.
Pro und Contra in den Fraktionen
„Die Energiewende hat sich an unserem Regionalplan auszurichten“, begründete Udo Goldmann (CDU) die Auffassung, weiter zu klagen. Der Freiraumschutz müsse Vorrang haben, „sonst geben wir den Standortvorteil einer ausgewogenen Freiraum- und Siedlungsentwicklung auf.“ „Biogasanlagen sind zum Gelingen der Energiewende unverzichtbar“, sagte Werner Spec für den Teil der CDU, der gegen eine Fortsetzung der Klage ist.
Mit einer Klage „verhindern wir den Fortschritt“, machte Michael Makurath (SPD) deutlich. „Der neue Standort macht eine Abwägung zwar nicht leichter, aber unsere Fraktion bleibt in der Kontinuität des ursprünglichen Beschlusses“, sei also für eine Rücknahme der Klage. „Die Energiewende muss Realität werden.“
Joachim Hülscher (Freie Wähler) vermisste ein „offenes, transparentes Standortsuchverfahren“. Freiraumsicherung und Landschaftsschutz seien „nicht wegwägbar, sie binden die Region.“ Das Regierungspräsidium habe sich „einfach über unseren Regionalplan hinweggesetzt und lässt einen schwerwiegenden Eingriff zu.“ Dies sei nicht hinnehmbar.
Es sei zu begrüßen, „dass der regenerative Anteil der Gasversorgung der Nürtinger Stadtwerke durch eine solche Anlage deutlich steigen wird,“ sagte Dorothee Kraus-Prause (Grüne). Trotz positiver Aspekte halte ein Teil ihrer Fraktion den Standort für ungeeignet. Das Projekt solle an einem anderen Ort realisiert werden. „Denn die Region soll weiter Vorreiter der Energiewende werden“.
Jürgen Hofer (FDP) sieht die Nutzung von Biogas und Windkraft gleichbedeutend. „Kehrseiten und Beeinträchtigungen“ seien die Folgen der Energiewende, sprach er sich gegen die Klage aus. Albrecht Braun (FDP) will den Klageweg so lange beschreiten, bis „eine optimierte Lösung“ erzielt ist.
Christoph Ozasek (Linke) kritisierte die Haltung des Regierungspräsidiums. „Mit dieser Logik bleibt am Ende vom Freiraum nur noch ein Schweizer Käse übrig.“ „Die Standortsuche stand unter keinem guten Stern“, sagte Ulrich Deuschle (Republikaner). Auch der neue Vorschlag habe die Lage nicht verbessert.
Damit in ähnlichen Fällen Standorte für Biogasanlagen vorausschauender gefunden werden können, hat die Regionalversammlung einen Kriterienkatalog verabschiedet. Danach sind Gewerbe- und Industriegebiete die erste Adresse für Biogasanlagen. Findet sich dort keine Möglichkeit, soll nach einem Platz außerhalb geschützter Freiräume gesucht werden. Kommt man dabei auch nicht weiter, sollen Biogasanlagen in der Nähe von bestehenden Einrichtungen, wie Kraftwerken, Kompostanlagen oder Kläranlagen entstehen.
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