STUTTGART: Die Regionalversammlung hat heute ein eindeutiges Signal für das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm gesendet und große Geschlossenheit gezeigt. Zunächst hatte Regionaldirektorin Jeannette Wopperer bei der Einbringung des Haushalts ein klares Bekenntnis zum Projekt abgegeben. Aufgrund von zwei Dringlichkeitsanträgen entspannte sich dann eine lebhafte Diskussion. Der interfraktionelle Antrag von CDU, SPD, Freien Wählern und FDP „Für Stuttgart 21 – gegen ein Moratorium“ wurde mit 68 von 88 Stimmen beschlossen. Ein Moratorium beim Bau von Stuttgart 21 bis nach der Landtagswahl im März 2011, wie es Bündnis 90/Grüne in einem Antrag gefordert hatten, wurde abgelehnt.
Die Regionalräte stimmten gleichzeitig einer Resolution zu, wonach „Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm struktur- und verkehrspolitisch sowie aus ökologischen Gründen für die Region Stuttgart und das Land Baden-Württemberg von herausragender Bedeutung“ sind. Jahrelange nach demokratischen Grundsätzen abgelaufene Diskussions- und Entscheidungsprozesse könnten nicht einfach unter dem Druck von Protesten für bedeutungslos erklärt werden. Zwar werde ein Moratorium abgelehnt, Gespräche seien allerdings nicht ausgeschlossen.
Die Befürworter des interfraktionellen Antrags, darunter auch Dr. Wolfgang Schuster, hoben in ihren Statements die Vorteile und großen Chancen des Bahnprojekts Stuttgart – Ulm hervor. Es sei ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich geboten. Stuttgart 21 verlagere den Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene. Es halte den Wirtschaftsstandort Region Stuttgart wettbewerbsfähig und schaffe tausende neuer Arbeitsplätze. 100 Hektar heute noch versiegelte Fläche würden gewonnen für Wohnraum, Park, Grünanlagen und öffentliche Plätze. Zentral sei die Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens mit Angebotsverbesserungen und Fahrzeitverkürzungen sowie die Anbindung an die Magistrale von Paris nach Bratislava. All dies würde durch ein Moratorium in Frage gestellt. Es gebe zum Bahnprojekt Stuttgart – Ulm „keine realistische Alternative“.
Grüne: Moratorium zum Innehalten
Das sehen die Grünen anders, wie Heike Schiller (Grüne) in der Begründung des Antrags nach einem Moratorium formulierte. Der Ton werde rauer, die Situation immer verfahrener. Es sei ein Zeichen der Souveränität, wenn über die Parteigrenzen hinweg inne gehalten werde. „Es geht nicht um ein Für und Wider, sondern darum, dass die Regionalversammlung Vorreiterin ist, um innezuhalten, wie es weiter gehen kann.“ Die Zustimmung bröckele, die Politik habe Vertrauen verloren. Die Legitimation reiche nicht aus, um die Kritiker zu überzeugen. „Wir stellen nicht einen einzigen demokratischen Entschluss in Frage.“ „Wir Grünen möchten, dass sich die Regionalversammlung an ihre Beschlüsse hält. Wir tragen für einen funktionierenden S-Bahn-Nahverkehr in der Region.“ Deshalb könnten keine jahrelangen Störungen hingenommen werden.
CDU: Moratorium zielt darauf, das Projekt zu kippen
Christine Arlt-Palmer (CDU) verwies in der Begründung des interfraktionellen Dringlichkeitsantrags auf die Vorteile des Projekts aus wirtschaftlicher, verkehrlicher und ökologischer Sicht. Ein Moratorium lehnen die Befürworter ab. Es handele sich um ein „demokratisches Projekt“, das 15 Jahre lang in allen politischen Gremien legitimiert worden sei. „Stuttgart 21 und die Neubaustrecke sind aber auch deshalb demokratisch, weil über Jahre hinweg alle Gerichte angerufen worden sind, was zu Zeitverzögerungen geführt hat. „Ein Moratorium zielt darauf, das Projekt zu kippen. Dem schließen wir uns nicht an“, sagte Arlt-Palmer. Der Ausstieg aus dem Projekt würde einen finanziell beträchtlichen Schaden nach sich ziehen. „Eine Alternative gibt es nicht“, sagte sie. „K 21 ist ein Phantom, ein Chamäleon, das je nach Debattenlage eine neue Farbe annimmt“.
SPD: Für eine verbale Abrüstung
Mit einem Moratorium ginge es den Antragstellern um „ein zusätzliches Podium für die Endlosschleifendiskussion um Stuttgart 21 und die Neubaustrecke zu finden“, vermutete der SPD-Fraktionsvorsitzende Harald Raß. Die Bürgerproteste und Demonstrationen würden seine Fraktion bewegen. Sie verdeutlichten, dass Bürger mitentscheiden wollen. „Hier müssen für die Zukunft neue Wege diskutiert werden“. Raß warnte vor einer „Dauerspaltung“ in der Landeshauptstadt und der Region. Stuttgart 21 werde zur „Glaubensfrage“, zur „Überlebensfrage“ stilisiert. „Aber Überlebensfragen sind per se nicht kompromissfähig. Da muss verbal abgerüstet werden.“ Ein Moratorium sei „eindeutig der falsche Weg“. Denn es werde als „taktisches Mittel für die Landtagswahl eingesetzt“. In Wirklichkeit solle Stuttgart 21 „gekippt“ werden. Über Bürgerbeteiligung und Bürgerentscheide könne und müsse man reden.
Freie Wähler: Den Blick in die Zukunft richten
„Wir Freie Wähler tragen das Vorhaben Stuttgart 21 seit 15 Jahren mit“, sagte deren Fraktionsvorsitzender Heinz Kälberer. „Stuttgart 21 bringt unserer Region und den 179 Kommunen in der Region Stuttgart nachhaltig Vorteile – bei allen Problemen während der Bauzeit.“ Er erinnerte an die massiven Diskussionen um die Neue Messe sowie die Neubaustrecke der Schnellbahnstrecke Stuttgart – Mannheim mit dem Bahnhof in Vaihingen/Enz. „Wenn heute der Bahnhof in Vaihingen/Enz geschlossen würde, ginge die ganze Stadt auf die Barrikaden“. Man dürfe nicht nur den aktuellen Zustand betrachten, sondern auch auf den Abschluss und die damit verbunden Vorteile des Projekts sehen. „Auch wir setzen auf Dialog, aber ohne die getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen.“ Es gebe Gestaltungsmöglichkeiten. „Auch wenn es keinen Baustopp geben wird, was wir unterstützten, so können sich die Bürger in die Gestaltung einbringen.“ Nur wer bereit sei, Neues zu wagen, könne die Gegenwart sichern und die Zukunft gestalten.
FDP: Eine Jahrhundertchance
„Wenn mehrere tausend Menschen gegen ein Projekt protestieren, gehört es zum selbstverständlichen demokratischen Stil, dass man sich mit den Argumenten auseinandersetzt“, sagte FDP-Fraktionsvorsitzender Jürgen Hofer. Das habe seine Fraktion getan. Es gebe keine Argumente gegen das Projekt, die wirklich neu wären. „Für uns ist Stuttgart 21 eine Jahrhundertchance“. „Eine wirkliche Alternative gibt es nicht“. Die ähnlich teure Strecke durch das dichtbesiedelte Neckartal würde zu noch größeren Protesten führen. „Und die Grünen wären mit Sicherheit auch hier ganz vorne bei der Bewegung“. Bürgerbeteiligung sei Teil der rechtsstaatlichen Strukturen. „Es ist aber nicht nur das Recht, sondern geradezu die politische Pflicht, die von den Parlamenten mit großer Mehrheit gefassten Beschlüsse und die geschlossenen Verträge umzusetzen.“
Linke: Stuttgart 21 schadet massiv
Christoph Ozasek (Linke) sagte: „Die Menschen bangen um ihre Stadt, um ihren Bahnhof, um ihren Park, um ihr Mineralwasser.“ Doch die Befürworter weigerten sich, die Fakten auf den Tisch zu legen. Stuttgart 21 schadet dem Bahnknoten massiv und diene ausschließlich dazu, „die Bilanzen der Deutschen Bahn zu schönen.“
Republikaner: Für einen Volksentscheid
Ulrich Deuschle (Republikaner) bedauerte, dass die ursprüngliche Idee, den Fernverkehr und den Regionalverkehr zu trennen, nicht weiterverfolgt wurde. Er stellte die Frage, ob alles was legal entschieden worden sei, politisch auch legitim sei. Er plädierte für einen Volksentscheid.