Der Ausschuss für Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung stimmte mit guter Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, dass die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) die Grundsatzvereinbarung „Strategischer regionaler Vorhaltestandort Dettingen/Kirchheim“ mit der Stadt Kirchheim unter Teck und den Gemeinden Dettingen unter Teck und Notzingen schließt. Die WRS soll in diesem Rahmen, gemeinsam mit den drei Kommunen der „Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Kirchheim unter Teck“ (VVG Kirchheim) die weiteren Grundlagen für die Realisierung des Vorhaltestandorts für Gewerbe am „Hungerberg“ erarbeiten. Dazu gehören unter anderem eine Wirtschaftlichkeitsanalyse, die Bewertung von Risiken, ein Kriterienkatalog für die Ansiedelung von Unternehmen und eine Vorgehensweise für die Vermarktung der Fläche. Eine Untersuchung der Auswirkungen auf Natur und Klima sowie auf die Landwirtschaft samt einer Konzepterstellung für das Flächenmanagement wurden bereits 2020 beauftragt. Die Kosten teilen sich die Projektpartner.
Mit der Grundsatzvereinbarung wurden die Leitplanken gesetzt, an denen sich die Projektpartner bei der weiteren Konkretisierung des Vorhaltestandort-Projektes verbindlich orientieren können. Dabei handelt es sich jedoch noch nicht um den Beschluss zur tatsächlichen Realisierung des Vorhaltestandortes. Formal getrennt und ergebnisoffen werden parallel zur Projektvorbereitung die regional- und bauleitplanerischen Verfahren durchgeführt. Das Regionalplanänderungsverfahren, bei dem die Möglichkeit der Aufhebung eines Grünzugs und die Ausweisung eines Regionalen Gewerbeschwerpunkts im Bereich des Hungerbergs geprüft wird, wurde in der Regionalversammlung im vergangenen Dezember beschlossen.
WRS-Geschäftsführer Dr. Walter Rogg betonte, dass die Entwicklung rund um die Stichworte „Decarbonisierung“ und „Digitalisierung“ eine der größten Aufgaben in der Region sei. Allerdings hätten auch nur wenige Regionen in Europa ein ähnlich großes Innovationspotenzial. „Manchmal können neue Standorte in bestehenden Strukturen geschaffen werden, manchmal nicht. Finden Neuinvestitionen jedoch in der nächsten Generation des Wirtschaftens keinen Platz, werden sie weg und wahrscheinlich auch langfristig verloren sein“, warb Rogg um die Zustimmung zur Grundsatzvereinbarung.
Weitere Schritte
Nach Beschlussfassungen aller beteiligten kommunalen Gremien werden die VVG Kirchheim und die WRS die weiteren Projektgrundlagen detailliert ausarbeiten, so ein Kooperationsvertrag zwischen den Projektpartnern formuliert werden kann. Ein weiterer Fokus liegt auf der Sondierung des Grunderwerbs und der Erschließung der Flächen, die rund 20 Hektar umfassen sollen.
Konzept des Strategischen regionalen Vorhaltestandorts
In der Region Stuttgart steht für eine zeitnahe Umsetzung von strategischen Investitionsprojekten aktu¬ell nur ein sehr eingeschränktes Flächenangebot zur Verfügung. Dies gilt verschärft für Gewerbegebiete in einer Größenordnung ab 10 Hektar sowie für Flächen, die spezifische infrastrukturelle Anforderungen, ins-besondere im Bereich der verkehrlichen Anbindung, erfüllen. 2018 wurde daher vom Verband Region Stuttgart und der WRS eine regionale Gewerbeflächenstrategie erarbeitet. Dabei wurde die „Entwicklung eines strategischen regionalen Vorhaltestandortes für regionalbedeutsame Investiti¬onsprojekte des technologischen und ökonomischen Wandels“ als Ziel formuliert und Handlungsfeld beschlossen. Die „Regionalen Vorhaltestandorte“ sind ein Lösungsansatz, um dem Defizit an größeren, baureifen Industrieflächen in der Region Stuttgart zu begegnen. Denn es ist ein gravierender Wettbewerbsnachteil, wenn es keine konkrete Angebotsplanung bei Gewerbeflächen gibt – insbesondere in der Region Stuttgart, in der die vorherrschenden kleinteiligen Grundbesitzverhältnisse eine rasche Realisierung von Vorhaben regelmäßig entschleunigen. Standorte, die zur Bedarfslage der ansässigen Wirtschaft passen, die infrastrukturellen Voraussetzungen erfüllen, eine ausreichende Akzeptanz vor Ort finden und zudem möglichst geringe Eingriffe in Freiraumfunktionen erforderlich machen, sind in der Region Stuttgart ausgesprochen knapp. Die Sicherung und Vorbereitung regionaler Vorhaltestandorte soll es dabei ermöglichen, handlungsfähig zu sein und eine verlässliche Perspektive für die Bereitstellung ei¬ner geeigneten Fläche anbieten zu können.
Stimmen der Fraktionen
Andreas Koch (CDU/ÖDP) betonte: „Toptechnologie muss ein Markenkern der Region bleiben. Wenn es gelingen soll, neue Technologien in die Region zu bringen, braucht es Flächen.“ Es gehe nicht nur um kleine Restflächen, die man reaktivieren könne, sondern um Flächen im zweistelligen Hektarbereich. „In der Abwägung zwischen berechtigten ökologischen Interessen und denen der Wirtschaft und der damit verbundenen Arbeitsplätze müssen wir die Chancen nutzen, die Dettingen/Kirchheim bietet.“ Die Nachteile an diesem Standort würden weitestgehend vermieden. Wichtig sei aber, dass die Region eine Mitsprache bei der Art der Ansiedlungen habe, um die Entwicklung hin zu nachhaltigen Produkten zu gewährleisten.
Dorothee Kraus-Prause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellte fest: „Es gibt den Zielkonflikt zwischen dem Schutz des Grünzugs und dem Interesse der wirtschaftlichen Ansiedlung. Wir sehen die Fläche und die Grundsatzvereinbarung sehr kritisch und lehnen sie daher ab.“ Große Flächen würden nicht automatisch viele Arbeitsplätze bedeuten. „Wir teilen auch die Prämisse der Grundsatzvereinbarung nicht, dass Transformation zwingend große Flächen benötigt.“ Zunächst sollten auch Nutzer und Nutzungen detaillierte definiert werden. Kraus-Prause warb hier für die Produktion im Bestand. Man wolle mit viel Elan die Diskussion voranbringen, wie eine Wirtschaft im Wandel klug und klimaaktiv agieren könne.
„Wir brauchen Gewerbeentwicklung in der Region“, konstatierte Gerd Maisch (Freie Wähler), „sowohl kurz- als auch langfristig.“ Es sei schön, wenn Gewerbeansiedlung in Bestandsflächen funktioniere. Dies könne aber nicht den gesamten Bedarf decken und würde gleichzeitig bedeuten, dass Firmen verschwinden und Arbeitsplätze verloren gehen. „Wir brauchen die Vorhaltegebiete, um eine Perspektive zu schaffen.“ Der Standort in Dettingen sei geeignet, die Vereinbarung gelungen. „Wenn es damit schneller vorangeht als gedacht, umso besser.“
Für Dr. Jürgen Zieger (SPD) ist die Abwägung zwischen Flächenverbrauch und wirtschaftlicher Notwendigkeit nicht leicht. „Wir stimmen jedoch dem Vorhaltestandortskonzept zu.“ Öffentlich sei es populärer, dies nicht zu tun. 20 Hektar Flächen seien viel, aber es gehe um die Transformation einer Wirtschaft, in der laut Gutachterschätzungen eine sechsstellige Zahl von Arbeitsplätzen gefährdet sei. „Damit ist es sozial und wirtschaftlich nachhaltig, den Flächenverbrauch in Kauf zu nehmen.“ Es sei eine Mär, dass Transformation nur im Bestand passieren könne.
Nach Joachim Hülscher (AfD) solle die Region in ihrem Handeln logisch sein. „Wir hatten die Projektvorbereitung beauftragt. Und wir sehen die Grundsatzvereinbarung in einer guten Abwägung der verschiedenen Interessen und der Verteilung der Kosten.“ Hülscher bedauerte, dass bei den verbliebenen 20 Hektar nur noch vom einem „Standörtchen“ gesprochen werden könne.
„Wir werden die Transformation im Bestand nicht schaffen“, warnte Volker Weil (FDP). Es gehe darum, Arbeitsplätze und Raum für Innovation zu schaffen. Dennoch sei es wichtig, zu überlegen, was mit den freiwerdenden Flächen passieren könne. Man könne sie für innovative Gewerbestandorte nutzen, aber sie auch mit Grünflächen attraktiver für die Arbeitnehmer machen und so zumindest teilweise eine Perspektive für den Ausgleich schaffen.
Sebastian Lucke (DIE LINKE/PIRAT) befand: „Das Gebiet am Hungerberg ist kein idealer Standort.“ Von den favorisierten Standorten habe nur Vaihingen an der Enz eine passende Schienenanbindung. „Wir wollen eine Aktivierung von kleineren Flächen und eine Verdichtung von bestehenden Gewerbegebieten“, schloss Lucke.
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