Die Regionalversammlung hat am Mittwoch die besonderen Belange der hoch verdichteten Region Stuttgart diskutiert. Bei einer differenzierten Grundsatzdebatte wurden die Leistungen von Metropolen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Problemlagen von Verdichtungsräumen deutlich. Mehrheitlich wurde beschlossen, die Interessen des Standortes Region Stuttgart zum einen in die Netzwerkarbeit des Verbands auf nationaler und internationaler Ebene einzubringen. Zum anderen ging ein Appell an das Land, sich auch für die Belange der Verdichtungsräume einzusetzen, wenn auf Bundesebene demnächst die Vorschläge der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ unter Vorsitz des Bundesinnenministeriums beraten werden. Absehbar liegt das Hauptaugenmerk der Kommission dabei eher auf der Förderung strukturschwacher Räume im ländlichen Raum. Jedoch dürfe man dabei die wirtschaftsstärkeren Räume nicht aus dem Blick verlieren, fordert der Verband Region Stuttgart. Denn trotz einer guten finanziellen Ausstattung liegen die Hemmnisse hier oft in schwierigen Rahmenbedingungen für ein notwendige Entwicklungen und angemessenes Wachstum.
Für eine umfassende Beurteilung „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ müsse man auch die Beeinträchtigungen der Bevölkerung in strukturstarken Räumen im Blick haben: Zuwanderung, Wohnraumknappheit und hohe Mieten, dadurch eine Verdrängung finanzschwächerer Bevölkerungsgruppen aus zentralen Lagen, Mangel an Gewerbeflächen, überlastete Straßen, Busse und Bahnen und weniger Grünflächen für die Naherholung sind nur einige Beispiele. Gleichzeitig schwindet die Akzeptanz für neue Bauvorhaben, die den Wohnungsmarkt entspannen oder die Mobilität verbessern könnten. Hohe Dichte und hohe Wirtschaftskraft prägen die Region Stuttgart: Auf 10 Prozent der Fläche Baden-Württembergs werden in der Region Stuttgart 30 Prozent der landesweiten Wirtschaftsleistung erbracht. Auch für viele Einpendler aus anderen Teilen des Landes stellt die Region Stuttgart Arbeitsplätze und Infrastruktur bereit.
Regionaldirektorin Dr. Nicola Schelling führte aus: „Unsere selbstverständliche Solidarbereitschaft für strukturschwache Räume steht nicht zur Debatte. Aber damit die ‚Zugpferde‘ nicht lahmen, brauchen wir von Seiten des Bundes und Landes mehr Unterstützung, vor allem, was die instrumentellen, rechtlichen und verfahrenstechnischen Rahmenbedingungen für Maßnahmen angeht. Es geht um unsere Zukunftsfähigkeit. Der gelegentlich geäußerte Hinweis, dass sich ‚die Starken selbst helfen könnten‘, geht am Problem vorbei, wenn Geld allein aufgrund der genannten Hemmnisse nicht in konkrete Projekte umgesetzt werden kann. Die Wirtschaftsleistung der Region Stuttgart wie auch vieler anderer Verdichtungsräume ist ein Motor für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Dort wird nicht zuletzt auch Geld verdient, das die Förderung strukturschwacher Räume in ganz Deutschland mitfinanziert. Doch die Rahmenbedingungen, damit der Standort weiterhin international attraktiv ist, müssen gesichert sein. Die Maßstäbe für einen Vergleich mit anderen Räumen setzt der globale Wettbewerb, denn bereits heute konzentrieren sich rund zwei Drittel der Wertschöpfung und 85 Prozent der Innovationen weltweit auf nur 40 Metropolen. So muss die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten, sei es im Verkehr oder für Datenaustausch und Kommunikation. Auch der Strukturwandel der Digitalisierung hin zur Industrie 4.0. erfordert unterstützende Angebote für viele Unternehmen. Und die ansässige Bevölkerung sowie die von der Wirtschaft dringend benötigten Fachkräfte von auswärts brauchen Wohnraum. Dies erfordere unter anderem beschleunigte Planungsverfahren und Erleichterungen im Baurecht für die Kommunen, mahnt die Region an. Das gilt nicht nur für das Zentrum der Region, sondern für alle Teilräume. Denn Weltmarktführer und innovative Unternehmen mit hoher Wertschöpfung gibt es an vielen Stellen der Region Stuttgart. Wichtig sei auch, mit einem begleitenden Ausbau der Infrastruktur eine Akzeptanz von neuen Bauprojekten vor Ort herzustellen.
Stimmen aus der Regionalversammlung
Isabel Kling (CDU) stellte fest: „Wer in der Region Stuttgart lebt, lebt in einer erfolgreichen Region.“ Doch der Wohlstand sei nicht vom Himmel gefallen. „Wir sind in vielem Vorreiter, aber genau das darf uns jetzt nicht zum Nachteil werden. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land heißen für uns nicht gleiche Angebote.“ Der Ansatz müsse sein, dass sich Ballungszentren und ländliche Räume harmonisch miteinander entwickeln. Es dürfe nicht passieren, dass die großen Städte bei den geplanten Aktivitäten des Bundes vergessen werden. Unternehmen bräuchten qualifiziertes Personal und diese benötigten ebenso wie die bereits ansässige Bevölkerung bezahlbaren Wohnraum. Dafür dürfe man den Kommunen nicht noch mehr Bürokratie und Auflagen aufbürden. Auch die Mobilität sei zentrales Thema für die Zukunftsfähigkeit unserer Region. Fahrverbote seien nicht hilfreich, dagegen befürwortete sie neue Antriebsformen auf der Straße und die Digitalisierung der Schiene. „Stadt und Land, Hand in Hand – davon müssen auch wir profitieren“.
Dorothee Kraus-Prause (Grüne) sagte: „Die klassischen Zuordnungen vom unterentwickelten ländlichen Raum und den Städten, in denen es sich gut leben lässt, sind nicht mehr passgenau.“ Bereits heute litten viele Bewohnerinnen und Bewohner der Städte unter ‚Dichtestress‘, das führe zu einer schwindenden Akzeptanz im Blick auf weiteres Wachstum, so Kraus-Prause. „Wir müssen umsteuern, wenn wir unsere Städte zukunftstauglich machen wollen. Wir stehen für ein Wachstum an Qualität.“ Ein Wachstum im Sinne des ‚weiter so‘ sei daher keine Lösung. Es brauche neue Strategien für klimaneutrale, ressourcenschonende und lebenswerte Städte.
Regina Traub (SPD) äußerte Verständnis für die Förderung strukturschwächerer Regionen. Jedoch sollen Entwicklungsziele bei der digitalen Infrastruktur, bei Mobilität, sozialer Daseinsvorsorge, Bildung, Kultur, Barrierefreiheit und Teilhabe auch für den Ballungsraum gelten. „Es geht darum, dass die Metropolen wettbewerbsfähig bleiben. Gerade hier wird das erwirtschaftet, was dann für eine ‚Angleichung der Lebensverhältnisse‘ herangezogen werden kann.“ Die Steuerung der Siedlungs- und Freiraumentwicklung des Verbands Region Stuttgart, die verkehrliche Erschließung des regionalen Gesamtraums sowie die Arbeit der regionalen Wirtschaftsförderung befand sie „vorbildlich“.
Wilfried Wallbrecht (Freie Wähler) führte aus, dass seit Beginn der Strukturförderung die Verdichtungsräume dichter und größer, dagegen die ländlichen Räume leerer geworden seien. Er appellierte an die Bundeskommission, eine differenzierte Gesamtschau einzunehmen und nicht nur die Unterschiede in Infrastruktur, Versorgung oder ÖPNV zu bewerten. „Wirklich strukturschwache Räume soll man nicht mit viel Geld künstlich am Leben halten“. Ländliche Räume in der Region Stuttgart seien selten strukturschwach, erfüllten aber wichtige Funktionen für die gesamte Region. Mit der Intensivierung des internationalen Wettbewerbs müssten überholte Entwicklungsstrategien auf den Prüfstand. „Geld kann nur einmal ausgegeben werden.“
Für Christoph Ozasek (die Linke) ist Wohnungsnot die neue soziale Frage. Explodierende Mieten und Gentrifizierungsprozesse gefährdeten den sozialen Zusammenhalt. Grundsätzlich richtig seien verdichtete und flächensparende Bauweisen. Er forderte eine nachhaltige Bau- und klimafreundliche Mobilitätskultur. Da im hierzu die Antworten im Beschlussvorschlag fehlten, stimmte die Fraktion Linke dagegen.
Kai Buschmann (FDP) meinte, einen ‚Reich-Arm-Gegensatz aufzumachen‘, spiele den radikalen Kräften in die Karten. „Vielleicht wäre die ein oder andere Strukturmaßnahem anderwärts hilfreich, um den ‚Dichtestress‘ zu senken.“ Für Verbesserungen sorge eine landesweit bessere Verteilung der finanziellen Mittel oder die Ausweisung von neuen Wohnbauflächen. Für wichtige Infrastrukturvorhaben in der Region fehle es hier an Durchsetzungsstärke oder politischem Willen. Die FDP enthielt sich.
Für Stephan Schwarz (AfD) ist die Definition „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ subjektiv. Zudem sei es wichtig, weiterhin Zukunftstechnologie in der Region Stuttgart anzusiedeln.
Ulrich Deuschle (Innovative Politik) nannte die „Gleichwertigen Lebensverhältnisse“ als eine der „Lebenslügen der Republik.“ Klar sei zudem, dass die Region Bündnisse mit anderen Ballungsräumen schmieden müsse.
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